Renaissance der Atomenergie durch die Hintertür EU: Klimapolitik auf Atomkurs

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Die EU setzt unbeirrt auf Kernkraft und Kohle. Ökostrom ist angeblich zu teuer. Doch Brüssel rechnet mit falschen Vorgaben.

Die beiden Kühltürme des Kernkraftwerk Chooz in Frankreich. Blick von Foisches aus.
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Die beiden Kühltürme des Kernkraftwerk Chooz in Frankreich. Blick von Foisches aus. Foto: © Raimond Spekking (CC BY-SA 4.0 cropped) via Wikimedia Commons

29. Januar 2014
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Alle sprechen vom Atomausstieg, doch Brüssel hat ganz andere Pläne. Die EU-Kommission will 69 neue Atomkraftwerke für Europa mit einer Gesamtleistung von 104 Gigawatt. Demnach sollen etwa in Polen schon im kommenden Jahrzehnt sechs neue AKWs ans Netz gehen, weitere vier in der Tschechischen Republik. Dies enthüllte das ZDF-Magazin «Frontal21». Um die Klimaziele für 2030 zu erreichen, setzt die EU im «Referenzszenario 2013» unbeirrt auf Atomkraft, weil sie angeblich so billig ist. Doch die Rechnung der EU-Kommission geht nicht auf, wie der Bericht von «Frontal21» zeigt. Denn Brüssel rechnet mit falschen Zahlen.

Unrealistische Kostenberechnung

Im Szenario der EU-Kommission kommen die erneuerbaren Energien schlecht weg – viel zu teuer. Grosse Photovoltaik-Anlagen kosten demnach 2300 Euro pro Kilowatt, und die Kosten sollen nur langsam sinken, auf 1500 Euro im Jahr 2020. Tatsächlich ist aber Solarenergie bereits heute deutlich günstiger, nämlich nur 1300 Euro pro Kilowatt. Und die Preise für Solarstrom werden weiter sinken, prognostizieren Experten.

Auf der anderen Seite rechnet sich die EU-Kommission die AKWs schön, sprich billig. Energieexperten kritisieren, das Referenzszenario gehe von unrealistisch niedrigen Kosten für neue Atomkraftwerke aus. Demnach soll im Jahr 2020 Kernenergie 4400 Euro pro Kilowatt kosten. Tatsächlich dürfte der Preis jedoch viel höher liegen. Christian von Hirschhausen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sagte gegenüber «Frontal 21»: «Das sind ausgedachte Mondzahlen, die tatsächlichen Kosten für neue Atomkraftwerke werden mindestens das Doppelte betragen.»

Das Referenzszenario hat der Deutsche EU-Energiekommissar Günther Oettinger berechnen lassen. Was dabei herausgekommen ist, dürfte ganz in seinem Sinne sein. Der CDU-Politiker stemmt sich seit Jahren gegen den Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland, weil sie angeblich zu teuer sind. Durch die hohe Ökostromumlage werde der Verbraucher finanziell zu stark belastet und die Industrie geschädigt, warnt er immer wieder. Deshalb will Oettinger die Energiewende bremsen. Gleichzeitig wirbt er für die Risikotechnologie Fracking und rät dazu, ihren Einsatz in Deutschland zu prüfen.

Klimafreundliche Kohlekraftwerke – eine Fiktion

Zudem setzen Oettinger und die EU weiterhin stark auf Kohlekraftwerke. Diese sollen angeblich klimafreundlich werden dank einer neuen Technologie: Das Treibhausgas CO2 wird abgeschieden, in Piplines zu unterirdischen Lagerstätten transportiert und dort unter die Erde gepresst. Mindestens 25 solcher CCTS-Kraftwerke sollen nach den Plänen der Kommission gebaut werden, allein acht davon in Polen. Allerdings: Diese Technik wurde bisher noch nie eingesetzt. Wissenschaftler bezweifeln, dass sie überhaupt funktioniert.

Energieexperte Christian von Hirschhausen hat sämtliche CCTS-Projekte weltweit gründlich studiert und kommt zum Schluss: «Es gibt diese Technologie gar nicht. Sie ist eine Fiktion. Die Idee, dass wir mit solchen Kohlekraftwerken eine Klimapolitik betreiben könnten, ist an den Haaren herbeigezogen und Ergebnis einer bewussten Lobbypolitik der Kohleindustrie. Es ist traurig, dass die EU-Kommission immer noch darauf hereinfällt.»

Renaissance der Atomenergie durch die Hintertür

Energiekommissar Oettinger verteidigt sein Zahlenwerk. Ein Interview wollte er dem ZDF nicht geben, kündigte aber zur Klärung weitere Studien an. Denn: Die Zahlen im Referenzszenario haben weitreichende Folgen für die künftige EU-Klimapolitik.

Am vergangenen Mittwoch hat die EU-Kommission ihre Pläne zum CO2-Sparen und für erneuerbare Energien auf den Tisch gelegt. Sie schlägt vor, dass die EU ihren Ausstoss an Kohlendioxid (CO2) um 40 Prozent gegenüber 1990 senken soll. Zudem sollen künftig europaweit 27 Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen kommen – diese Pflichtvorgabe gilt aber nur für die EU als Ganzes. Bindende nationale Ausbauziele für Energie aus Wind oder Sonne soll es für das Jahr 2030 nicht mehr geben.

Diese Ankündigung ist eine Enttäuschung für Umweltorganisationen und für Deutschland: Berlin hatte auf verbindliche Zielvorgaben gehofft um die Energiewende voranzutreiben. Doch jetzt sieht es ganz danach aus, dass der Klimaschutz in Europa vor allem durch mehr Atomkraft erreicht wird. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) kündigte im Interview mit «Forntal21» Widerstand an: «Ich halte das für den falschen Weg. Es ist eigentlich erstaunlich, dass ausgerechnet der einzige deutsche EU-Kommissar diesen Weg beschreitet, nachdem sich Deutschland im Konsens mit allen Parteien für den Atomausstieg entschieden hat.» Hendricks warnt: «Damit ist die Gefahr gross, dass durch die Hintertür eine Renaissance der Atomenergie ins Auge gefasst wird, und das ist ganz und gar nicht in unserem Interesse.»

Natalie Perren
Infosperber